Ralph-Ingo Hassink beim Vortrag im Dio-Forum am 21.02.2020

von Monika Koch

Wie funktioniert das menschliche Gehirn?

Chefarzt Ralph-Ingo Hassink hielt einen Vortrag vor dem Verein Alter Dionysianer

„Die Krawatte um den Hals des Mannes mindert die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn.“ Mit dieser Feststellung sorgte Ralph-Ingo Hassink, Chefarzt des „Zentrums für Entwicklungsförderung und pädiatrischer Neuro-Rehabilitation“ (Z.E.N.) in Biel in der Schweiz, am Mittwochabend im Forum des Dionysianums für Überraschung und Heiterkeit. Deswegen verzichteten einige Banken auf den Krawattenzwang ihrer Mitarbeiter, klärte der 1981er-Abiturient des Dionysianums die zahlreichen Zuhörer auf. Im „Verein Alter Dionysianer“, der zu dem Vortrag eingeladen hatte, war das offensichtlich bekannt, denn keiner aus deren Chefetage trug den obligatorischen Binder.

Problem „Helikopter-Eltern“

Mit einer aufrüttelnden Einführungsrede hatte der Vorsitzende Dirk Terhechte den 90-minütigen Vortrag zum Thema „Wie funktioniert das Gehirn – wie funktioniert das Lernen“ eingeläutet. Er appellierte an ein Umdenken: „Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht!“ Die Zahl der psychisch erkrankten Schüler hätte sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Eine Million kranker Kinder und Jugendlicher seien dem Schul- und Leistungsdruck nicht mehr gewachsen. „Die Schüler stehen unter Dampf!“

Terhechte machte das Leistungsprinzip dafür verantwortlich, angefangen bei den Helikopter-Eltern, die die Empfehlungen der Lehrer in den Grundschulen missachten würden mit der inneren Sicherheit: „Mein Kind schafft das schon“. Davon profitierten nur die Nachhilfedienste, „die sich über ausgebrannte Kinder mit Nachhilfebedarf freuen“, provozierte er bewusst.

Die Schüler hätten heute keine Zeit mehr für Freundschaften, die aber maßgeblich zum Reifeprozess beitragen würden. Alarmierend sei, dass jeder vierte Schüler Kopfschmerzmedikamente nehme. „Vielleicht kommt es bald zu einem „First day for future“ als ergänzende Bewegung zum „Fridays for future“. Deswegen stelle sich der „Verein Alter Dionysianer“ mit jugendlichem Elan diesem Problem, konstatierte der Vorsitzende am Ende und übergab das Mikrofon an den Referenten Hassink, der spontan auf die Einführungsrede reagierte: „Besser kann man die Situation in fünf Minuten nicht auf den Punkt bringen“. Applaus, Applaus vom Publikum.

Die Pädagogik nicht ersetzbar

Ralph-Ingo Hassink analysierte die Windungen des Gehirns und ihre Aufnahmebereitschaft anhand eines Vortrags, dem die Grafiken auf der Leinwand als Papier zum Nachlesen beigefügt worden waren. „Die Hirnforschung kann Hilfestellung leisten, aber die Pädagogik nicht ersetzen“, klärte der Chefarzt des pädiatrischen Entwicklungszentrums in der Schweiz auf und zitierte den Hirnforscher Gerhard Roth: „Nichts von dem, was die moderne Hirnforschung zeigt, ist einem guten Pädagogen inhaltlich neu“.

Lernen sei ein einzigartiger, individueller Prozess. „Warum können Kinder heute nicht mehr sprechen?“ fragte der Mediziner und antwortete: „Weil die Eltern nicht mehr mit ihnen sprechen“. Ab dem 7. Monat lernen Kinder das Sprechen und die Grammatik von den Eltern. Die emotionale Atmosphäre zu Hause und in der Schule müsse stimmen: „Wenn keine Angst da ist, werden die Gedanken freier, offener und weiter“. Lernen brauche Bewegung: „Wir sind Affen und früher auf Bäumen herum geklettert“, brachte er die Wissenschaft auf den Punkt und riet eindringlich zu Bewegung und einer gesunden, guten Ernährung mit Omega-3-Fetträuren und gegebenenfalls Magnesium- und Eisenzugaben bei Bedarf.

 

Prof. Dr. Detlef Bartsch spricht im Forum Dionysianum